Offener Brief –
„Die Pflege erwartet endlich Lösungen!“
Sehr geehrte Frau Bundesgesundheitsministerin Warken,
seit vielen Jahren stehen wir in engem Austausch mit Ihrem Haus. Erst kürzlich haben wir Ihnen zu Ihrer Ernennung gratuliert und Ihnen unser bad-Positionspapier übersandt.
Sie treten Ihr Amt in einer Zeit an, in der das Fundament unserer pflegerischen Versorgung ernsthaft zu erodieren droht. Die Zeichen stehen auf Sturm – und das nicht erst seit gestern. Die Pflegebranche erlebt eine dramatische Insolvenzwelle. Pflegeeinrichtungen stehen unter massivem wirtschaftlichem Druck durch mangelnde Refinanzierung ihrer erbrachten Leistungen. Die Entwicklung der Pflegesachleistungsbeträge hält bei weitem nicht mit den stetigen Steigerungen der realen Kosten im Bereich der Pflege Schritt.
Laut Koalitionsvertrag plant die Regierung, eine „gute, bedarfsgerechte und bezahlbare medizinische und pflegerische Versorgung im ganzen Land zu sichern“. Um das zu erreichen, fordert der bad e. V.:
Die Pflegeversicherung muss eine umfängliche Pflegeleistung sicherstellen!
Die Leistungen der Pflegeversicherung sind der Höhe nach beschränkt. In der Praxis reichen diese Leistungen regelmäßig nicht aus, Versicherte müssen deshalb oft erhebliche Summen zuzahlen. Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 haben gar keinen Anspruch auf Pflegesachleistungen nach dem SGB XI. Auch Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen werden mit immer größeren finanziellen Belastungen konfrontiert, der Eigenanteil ist inzwischen durchschnittlich knapp 3.000 Euro hoch und steigt stetig weiter. Investive Aufwendungen von Pflegeeinrichtungen werden von der Pflegeversicherung nicht übernommen, sondern regelmäßig vom Pflegebedürftigen selbst bezahlt. Zur Entlastung der Pflegebedürftigen erfolgten 2024 und 2025 nur geringe Anhebungen der Leistungen der Pflegeversicherung, die die tatsächlichen, erheblichen Kostensteigerungen nicht vollständig kompensieren konnten.
Unsere Forderungen in diesem Zusammenhang lauten deshalb:
- Sachleistungsbeträge kurzfristig deutlich erhöhen und regelmäßig prospektiv anheben
- Pflege-Vollversicherung langfristig einführen
- Pflegesachleistungen für alle Pflegebedürftigen vorsehen
- Investive Aufwendungen vollständig übernehmen
Selbstbestimmungsrecht und ambulante Pflege faktisch und wirtschaftlich ermöglichen!
In § 3 SGB XI ist der Grundsatz „Ambulant vor stationär“ festgeschrieben. Aus gutem Grund: Zu den berechtigten Wünschen der Pflegebedürftigen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, gehört sehr häufig das Bedürfnis, in der eigenen Häuslichkeit alt zu werden. Jedoch unterläuft der Gesetzgeber die eigene Zielsetzung, denn die freie Wahl der pflegerischen Versorgungsform ist dann nicht gegeben, wenn er Anreize gegen eine ambulante und für eine stationäre Versorgung setzt. Letzteres geschieht z. B., indem das SGB XI Entlastungen lediglich bei den Eigenanteilen nach § 43c SGB XI für Pflegebedürftige in stationären Einrichtungen vorsieht. Setzt der Gesetzgeber Anreize für oder gegen eine bestimmte Versorgungsform, können Pflegebedürftige die durch die Pflegeversicherung zur Verfügung gestellten Mittel nicht entsprechend ihren individuellen Wünschen einsetzen.
Unsere Forderungen:
- Freies Wahlrecht der pflegerischen Versorgungsform gesetzlich ausdrücklich festschreiben
- Tagespflege uneingeschränkt als Ergänzung zur ambulanten Versorgung anerkennen
- Alternative Wohnformen fördern
- Innovative Versorgungsformen ermöglichen
- Angehörigenpflege stärken
Auskömmliche Finanzierung der Pflegeeinrichtungen und der Sozialen Pflegeversicherung!
Pflegeeinrichtungen wirtschaftlich zu betreiben, wird immer schwerer und die Zahl der Insolvenzen ist besorgniserregend und rekordverdächtig hoch. Die Pflegeversicherung muss regelmäßig durch Beitragserhöhungen vor ihrem finanziellen Kollaps gerettet werden. Gleichzeitig wächst die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen unaufhörlich. Der seit vielen Jahren bestehende Pflegekräftemangel verschärft sich stetig. Ein deutlicher Kurswechsel ist längst überfällig. Die Pflegeversicherung wird in ihrer jetzigen Form immer weniger pflegerische Leistungen für die Versicherten bezahlen können, eine qualitativ gute Pflege für alle wird dadurch nicht mehr möglich sein. Als Folge werden viele Pflegeeinrichtungen wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig sein, was eine immense Zunahme von Insolvenzen bedeutet.
Unsere Forderungen:
- Nachhaltige, gesamtgesellschaftliche Finanzierung der Pflegeversicherung
- Rechtssichere Refinanzierung der Löhne in der Pflege sicherstellen
Attraktivität der Pflegeberufe weiter steigern!
Der Mangel an Pflegekräften verschärft sich stetig: Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes werden dem Arbeitsmarkt im Jahr 2034 rechnerisch 350.000 Pflegekräfte fehlen. Die vorhandenen Pflegekräfte werden zunehmend unter der wachsenden Arbeitsbelastung leiden, auch dadurch werden Pflegeberufe zunehmend unattraktiv. Für Versicherte wird es schwerer, einen Pflegeanbieter zu finden, dessen personelle Kapazitäten eine Übernahme der Versorgung überhaupt ermöglichen.
Unsere Forderungen:
- Personalbemessung praktikabel umsetzen und Vollauslastung ermöglichen
- Vereinbarkeit von Pflegeberuf und Familie verbessern
- Zuwanderung und Anerkennung internationaler Pflegekräfte beschleunigen
- Digitalisierung und Entbürokratisierung konsequent und praxisnah umsetzen
- Verordnungsbefugnisse für Pflegefachkräfte ausweiten
Frau Ministerin, Sie haben die Chance und die Verantwortung, die Pflege zu retten. Wir appellieren eindringlich an Sie: Setzen Sie sich mit Nachdruck für strukturelle Reformen ein, die diesen Namen verdienen. Die Zeit des Zögerns ist vorbei. Jede weitere Verzögerung gefährdet nicht nur Einrichtungen, sondern Existenzen! Die Pflege ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft und sollte dringend auch so behandelt werden.
Andrea Kapp, RA‘in
Bundesgeschäftsführerin des bad e.V.,
Qualitätsbeauftrage (TÜV)
Sebastian A. Froese, Rechtsanwalt,
Stellvertretender Bundesgeschäftsführer und
Justiziar des bad e.V.