2. Pflege zulassen, wie die Menschen sie wollen!
- Aktueller Status
- Das geschieht, wenn nichts geändert wird
- Lösungsmöglichkeiten & Forderungen des bad e. V
- ➤ Freies Wahlrecht der pflegerischen Versorgungsform festschreiben
- ➤ Tagespflege uneingeschränkt als Ergänzung zur ambulantenVersorgung anerkennen
- ➤ Alternative Wohnformen fördern
- ➤ Innovative Versorgungsformen unterstützen
- ➤ Angehörigenpflege stärken
Aktueller Status
Die meisten Menschen möchten in ihrer eigenen Häuslichkeit alt werden. Die Pflegeversicherung trägt diesem Anliegen Rechnung, indem sie in § 3 SGB XI den Grundsatz „ambulant vor stationär“ postuliert und damit die häusliche Pflege vorrangig behandelt.
Der Gesetzgeber unterläuft jedoch die eigene Zielsetzung, denn die freie Wahl der pflegerischen Versorgungsform ist dann nicht gegeben, wenn er Anreize gegen eine ambulante und für eine stationäre Versorgung setzt. Letzteres geschieht jedoch z. B., indem das SGB XI Entlastungen lediglich bei den Eigenanteilen nach
§ 43c SGB XI für Pflegebedürftige in stationären Einrichtungen vorsieht.
Gleiches gilt für die gesetzliche Regelung, nach der in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft bei Bezug des sogenannten „Wohngruppenzuschlags“ nach § 38a SGB XI nur unter engen Voraussetzungen eine Tagespflege besucht werden darf.
Wird der monatliche Sachleistungsbetrag für Tages- und Nachtpflege nach § 41 SGB XI teilweise nicht verbraucht, verfällt er derzeit, ohne dass er zur Deckung der Kosten für Unterkunft und Verpflegung genutzt werden kann.
Das geschieht, wenn nichts geändert wird
Setzt der Gesetzgeber weiterhin Anreize für oder gegen eine bestimmte Versorgungsform, können Pflegebedürftige die durch die Pflegeversicherung zur Verfügung gestellten Mittel auch zukünftig nicht entsprechend ihrer individuellen Wünsche und Bedürfnisse einsetzen.
Die berechtigten Wünsche der Pflegebedürftigen in Bezug auf ein selbstbestimmtes Leben würden weiterhin nicht ausreichend beachtet werden. Stattdessen würden sie aus finanziellen Erwägungen in eine von ihnen nicht gewünschte Versorgungsform gedrängt werden.
Lösungsmöglichkeiten & Forderungen des bad e. V
Pflege zulassen, wie die Menschen sie wollen!
➤ Freies Wahlrecht der pflegerischen Versorgungsform festschreiben
Der bad e. V. fordert, im SGB XI ausdrücklich ein freies Wahlrecht für Versicherte festzuschreiben, das die Wahl der Art der pflegerischen Versorgungsform (ambulant, teilstationär, vollstationär) selbstbestimmt statt eigenanteilsorientiert garantiert.
Das Wahlrecht muss einen Rechtsanspruch der Versicherten als Ausprägung der §§ 2 und 3 SGB XI begründen. Alle Pflegebedürftigen müssen frei von finanziellen (Gegen-)Anreizen die jeweils gewünschte Versorgungsform wählen können. Die Selbstbestimmung darf nicht von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Pflegebedürftiger abhängen. Es darf keine rechtlichen Beschränkungen geben, die dazu führen, dass bestimmte Versorgungsformen entgegen den individuellen Bedürfnissen nach Pflege, Betreuung, Wohnen und Selbstbestimmung in Anspruch genommen werden müssen.
Das Leistungsrecht darf keine Steuerungsfunktion einnehmen. Vielmehr muss die Pflegeversicherung mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden, um das freie Wahlrecht vollständig ausüben zu können. Die Bedürfnisse der Versicherten sind vom Gesetzgeber zu respektieren. Die zukünftige Gesetzgebung ist in diesem Sinne auszurichten.
➤ Tagespflege uneingeschränkt als Ergänzung zur ambulantenVersorgung anerkennen
Künftig müssen Leistungen für ambulant betreute Wohnformen und Tagespflegen regelhaft nebeneinander zugelassen werden.
Die Kombination von Tagespflege und ambulant betreuten Wohngemeinschaften ist künftig bedarfsgerecht zu ermöglichen. Darüber hinaus muss der ungenutzte Sachleistungsbetrag der teilstationären Pflege für alle Bereiche dieser Versorgungsform einsetzbar sein. Eine vollfinanzierte Inanspruchnahme von Tagespflegeleistungen gewährleistet dann im Einzelfall auch die Aufrechterhaltung einer ambulanten Versorgung und somit die Umsetzung des § 3 SGB XI.
➤ Alternative Wohnformen fördern
Alternative Wohnformen müssen rechtlich und finanziell gefördert werden.
Das Wachstum alternativer Wohnformen ist vor dem Hintergrund zu fördern, dass der Herausforderung einer alternden Gesellschaft bei gleichzeitigem Fachkräftemangel nur durch kreative Ideen begegnet werden kann. Rechtliche und bürokratische Hürden und insbesondere auch das Leistungsrecht des SGB XI dürfen die Realisierung alternativer Wohnformen nicht verhindern.
➤ Innovative Versorgungsformen unterstützen
Die Pflegekassen haben eine Koordinierungsstelle für die Entwicklung und den Betrieb innovativer Versorgungsformen einzurichten.
Viele Pflegeeinrichtungsbetreiber haben im Sinne einer bedarfsgerechten pflegerischen Versorgung gute Ideen für neue Versorgungsformen, die das SGB XI und das SGB V derzeit nicht vorsehen. Hiervon betroffen sein können z. B. spezialisierte Pflegedienst-Wundambulanzen, ambulante Dialyse-Angebote in der Häuslichkeit der Versicherten und vieles mehr.
Damit die oben beschriebenen Ideen nicht verloren gehen, auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden können und letztendlich zusammen mit den gesetzlichen Kostenträgern auch leistungsrechtlich umgesetzt werden können, bedarf es einer zentralen Koordinierungsstelle, die entsprechende Vorschläge sammelt und eine praktische Umsetzung vorbereitet und unterstützt. Das bestehende Vertrags- und Leistungsrecht darf einer Umsetzung nicht entgegenstehen, wenn dies eine bedarfsgerechtete Versorgung der Versicherten entsprechend ihrer Wünsche verhindert.
➤ Angehörigenpflege stärken
Pflegende Angehörige sind durch die Pflegeversicherung stärker zu entlasten.
Für viele Menschen stellt die Versorgung durch professionelle Leistungserbringer nur eine ergänzende pflegerische Versorgung dar. Der wesentliche Teil der Pflege wird hier durch Angehörige geleistet. Diese Familienmitglieder sind in größtmöglichem Umfang zu unterstützen und zu entlasten. Kurzfristig umsetzbare Maßnahmen, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann, sind die deutliche Aufstockung und Ausweitung des Leistungsbetrages der Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) und des Entlastungsbetrages (§ 45b SGB XI).
Die zum 01.01.2025 erfolgende Erhöhung der Leistungen um 4,5 % reicht nicht aus, um die in der Vergangenheit eingetretenen Kostensteigerungen adäquat ausreichend aufzufangen. Die hier erfolgte „faktische Absenkung“ der entlastenden Leistungen ist aufzugeben. Das stützt den Vorrangcharakter der häuslichen Pflege. Der Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI muss darüber hinaus uneingeschränkt für alle Leistungen eines Pflegedienstes einsetzbar sein. Eine Beschränkung auf Pflegesachleistungen verbietet sich. Versicherte sollen zukünftig in die Lage versetzt werden, mit den ihnen von der Pflegeversicherung zur Verfügung gestellten Mitteln selbstbestimmt den bestmöglichen „Versorgungs-Mix“ zusammenstellen.